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der tausendmal so viel taugt wie er, wirst in sechs Mona-
ten zweifellos unser Chefredakteur sein.«
Im Oktober war der Wechsel verfallen. Du Tillet verlän-
gerte ihn huldvoll, aber nur auf zwei Monate, um den
Diskont und eine neue Anleihe vermehrt. Siegesgewiß
lebte Raoul aus dem Vollen. Frau Felix von Vandenesse
sollte in ein paar Tagen zurückkehren, einen Monat frü-
her als gewöhnlich. Ein unbezähmbares Verlangen trieb
sie, Nathan wiederzusehen, und er wollte nicht in dem
Augenblick in Geldverlegenheiten stecken, wo er seinen
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Minnedienst wieder aufnahm. Der Briefwechsel hatte die
Begeisterung der Gräfin aufs höchste gesteigert, denn die
Feder ist stets kühner als das Wort, und das in Stilblüten
gekleidete Denken wagt sich an alles heran und kann
alles sagen. Sie sah also in Raoul einen der schönsten
Geister seiner Zeit, ein erlesenes, verkanntes Herz, ohne
Makel und anbetungswürdig; sie sah ihn mit kecker Hand
nach dem Kranze der Macht langen. Bald sollte seine
Sprache, die in der Liebe so schön war, von der Tribüne
herabdonnern.
Marie lebte nur noch in den verschlungenen Kreisen ei-
ner Sphäre, deren Mitte die Gesellschaft ist. Der stillen
Freuden der Ehe überdrüssig, empfing sie die Wogen
dieses stürmischen Lebens durch eine gewandte, liebe-
glühende Feder. Sie küßte seine Briefe, die inmitten der
Presseschlachten entstanden und Stunden der Arbeit ab-
gerungen waren. Sie fühlte ihren ganzen Wert, war si-
cher, allein geliebt zu sein und nur Ruhm und Ehrgeiz zu
Nebenbuhlerinnen zu haben. Sie konnte im Schoß ihrer
Einsamkeit all ihre Kräfte entfalten und war glücklich,
die rechte Wahl getroffen zu haben. Nathan war ein En-
gel.
Zum Glück hatte ihr Landaufenthalt im Verein mit den
Schranken, die zwischen ihr und Raoul bestanden, den
gesellschaftlichen Klatsch zum Schweigen gebracht. In
den letzten Herbsttagen nahmen also Marie und Raoul
ihre Spaziergänge im Bois de Boulogne wieder auf.
Konnten sie sich doch bis zur Wiedereröffnung der Sa-
lons nur dort sehen. So konnte Raoul die reinen, erlese-
nen Freuden seines idealen Lebens in größerer Ruhe
genießen und sie vor Florine verbergen. Er arbeitete et-
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was weniger, zumal die Zeitung jetzt im Gange war und
jeder Redakteur seine Arbeit kannte. Unwillkürlich zog
er Vergleiche, die sämtlich zugunsten der Schauspielerin
ausfielen, ohne daß die Gräfin dabei verlor. Abermals
rieben ihn die Anstrengungen auf, zu denen ihn seine
Herzens- und Verstandesliebe zu einer Dame der großen
Welt verdammten, aber mit übermenschlicher Kraft ge-
lang es ihm, auf drei Bühnen zugleich zu spielen: der
Gesellschaft, der Zeitung und dem Theater.
Während Florine, die ihm für alles Dank wußte und fast
all seine Mühen und Sorgen teilte, im rechten Augenblick
kam und verschwand und ihm ein reiches Maß wahren
Glückes ohne Phrasen, ohne Begleitmusik von Gewis-
sensbissen bereitete, vergaß die Gräfin mit den unersätt-
lichen Augen und dem keuschen Leibe seine ungeheure
Arbeit und die Mühe, die es ihn oft kostete, sie einen
Augenblick zu sehen. Statt zu herrschen, ließ Florine sich
von ihm besitzen, verlassen und wieder besitzen, mit der
Geschmeidigkeit einer Katze, die stets auf die Füße fällt
und nur mit den Ohren zuckt. Diese Beweglichkeit der
Sitten stimmt vortrefflich zu der ganzen Art der Männer
des Gedankens. Jeder Künstler hätte es wie Nathan ge-
macht und seine schöne himmlische Liebe weiter ver-
folgt, diese glänzende Leidenschaft, die sein Dichterherz,
seine geheime Größe, seine gesellschaftliche Eitelkeit
bezauberte. In der Überzeugung, daß eine Indiskretion
zur Katastrophe führen müßte, sagte er sich: »Weder die
Gräfin noch Florine darf etwas erfahren!« Standen sich
doch beide so fern !
Zu Beginn des Winters erschien Raoul wieder in der Ge-
sellschaft. Er stand auf dem Gipfel, war fast eine Persön-
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lichkeit. Rastignac, der mit dem durch de Marsays Tod
aufgelösten Ministerium gefallen war, stützte sich auf
Raoul und stützte ihn durch seine Lobsprüche. Frau von
Vandenesse wollte nun wissen, ob ihr Gatte über Nathan
umgelernt hätte. Nach Jahresfrist fragte sie ihn abermals
und hoffte auf eine jener glänzenden Genugtuungen, die
allen Frauen, auch den edelsten und idealsten, so lieb
sind. Denn man kann tausend gegen eins wetten, daß
auch die Engel ihre Eigenliebe haben, wenn sie sich im
Chor um Gottes Thron stellen.
»Nun ist er auch noch auf ein paar Intriganten hereinge-
fallen,« versetzte der Graf.
Felix, dem seine Weltkenntnis und seine politische Er-
fahrung den Blick geschärft hatte, durchschaute Raouls
Lage. Er erklärte seiner Frau in aller Ruhe, daß Fieschis
Anschlag dahin geführt hatte, daß viele Leute, die in ihrer
Gesinnung noch schwankten, für die in der Person König
Louis Philippes bedrohten Interessen gewonnen worden
seien. Die Zeitungen ohne ausgesprochene Farbe würden
ihre Abonnenten verlieren, denn das Zeitungswesen wür-
de sich mit der Politik vereinfachen. Hätte Nathan sein
Vermögen in diese Zeitung gesteckt, so ginge er bald
zugrunde. Dieser richtige und klare Blick, die in kurze
Worte gefaßte Erkenntnis, die der Graf nur aussprach,
um eine ihm gleichgültige Frage zu vertiefen, erschreckte
Frau von Vandenesse, zumal bei einem Manne, der die
Aussichten aller Parteien richtig einzuschätzen wußte.
»Du nimmst also großen Anteil an ihm?« fragte Felix
seine Frau.
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»Weil er ein Mann ist, dessen Geist mich belustigt, des-
sen Unterhaltung mir zusagt.«
Sie sagte es mit so natürlicher Miene, daß der Graf kei-
nen Argwohn schöpfte. Am nächsten Tage um 4 Uhr, bei
Frau von Espard, hatte Marie mit Raoul eine lange, leise
Unterredung. Die Gräfin äußerte Besorgnisse, aber Raoul
zerstreute sie. Es kam ihm sehr gelegen, das Ansehen, in
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